Ich bin ein Staubsaugerroboter

(oder: Einen Schritt vom Burnout entfernt)

Ich bin ein Staubsaugerroboter
ich fahre über den Boden Tag und Nacht
und sauge alles auf
den Schmutz, den Staub
das ganze Grau

Ich bin ein Staubsaugerroboter
und wenn ich das Zimmer abgegrast habe
fange ich von vorne an
Ich bin rund und passe nicht
in die Ecken
Ich versuche es trotzdem immer wieder
jeden Tag, jeden Tag
Jeden Tag saugen
jeden Tag scheitern

Ich bin ein Staubsaugerroboter
meine Freund*innen fragen mich:
Was machst du denn?
Sie sehen nich wie sauber
der Zimmerboden ist

Ich bin ein Staubsaugerroboter
und ich sage: Ich kann nicht mehr!
Mein Staubsaugerbeutel ist voll!
Und meine Freund*innen sagen:
Aber wieso? Hier liegt doch gar kein Dreck!
Wir sehen gar keinen Staub!
Alles ist sauber. Bis auf die Ecken vielleicht
die müsste echt mal jemand saugen

Ich bin ein Staubsaugerroboter
ich fahre über den Boden Tag und Nacht
und sauge alles auf
den Schmutz, den Staub
das ganze Grau

Frederik Müller ist von weißem Stoff umhüllt, hält einen Stab aus Selenit in der rechten Hand und Tarotkarten in der Linken. Er blickt von oben herab in die Kamera

Am 31. März um 20:00

zeigen Lee Nomi und ich die Performance der deutschen mutter in Leipzig. Tickets: ddmperformance@riseup.net Wie es in dieser Stadt üblich ist, können wir den Ort erst auf Anfrage nennen. Tipp: Es ist das TV-Studio auf der Eisenbahnstraße…

  • Violetter Rauch neben einer Pfütze

Hintergrund

Der deutschen Mutter ist der Wortlaut der Inschrift auf dem Mutterkreuz, einer Auszeichnung, die im Nationalsozialismus an Mütter, die bestimmte, der NS-Ideologie folgende Voraussetzungen erfüllten, vergeben wurde. Der deutschen mutter ist der Titel dieses Theaterstücks, das Frederik Müller 2016 geschrieben hat. Im Text verhandelt er die Brüche und Kontinuitäten von Konzepten wie Reproduktion, Magie, Kapital und Genetik zwischen damals und morgen. Die Inszenierung dieses Absurden Theaters setzt auf Camp-Ästhetik, D.I.Y. Charme und die Fallhöhen von zügig rhythmisierter Komödie und aufrichtiger Verzweiflung und Dringlichkeit der Figuren.

Die Handlung ist in eine nahe Zukunft verlegt, in der Leihschwangerschaften in Deutschland legal sind.Die arbeitslose Ewa ist in ihre Jobcenter-Sachbearbeiterin Frau Erfurt verliebt. Frau Erfurt sieht auf sie herab, weil sie kein Geld verdient. Um ihre Liebe zu gewinnen, stimmt Ewa einer gut bezahlten Leihschwangerschaft für das kinderlose Paar Björn und Karsten zu. Ewas Ex- Geliebte und Freundin Marie fühlt sich von ihr verraten, weil sie selbst keine Kinder bekommen oder zeugen kann; es kommt zum Streit. Marie prophezeit, dass Frau Erfurt nicht über die Unterschiede ihrer sozialen Positionen hinwegsehen wird.
Während der Hochzeitsfeier von Karsten und Björn, der auch Frau Erfurt beiwohnt, begreift Ewa, dass diese sie niemals lieben wird und erinnert sich an ihre Freundin Marie. Deshalb entschließt sie sich zu einer Abtreibung und stört die Hochzeitsfeier. Der religiöse Karsten entführt sie, um sie zur Geburt zu zwingen, während Björn eine Petition startet, weil er auf dem Rechtsweg zu seinem Kind kommen will. Marie bewegt die Zauberin Demeter dazu, ihr bei der Befreiung Ewas zu helfen und Demeter ruft ein Erdbeben hervor. Das Erdbeben schüttelt Ewa vom Kirchturm, wo Karsten sie gefangen hielt, und sie kann mit Hilfe ihrer Freundinnen den Schwangerschaftsabbruch durchführen.
Die Medizin schreitet voran, die Gesellschaft dreht sich im Kreis. Von Profitmaximen befeuerte Forschung ermöglicht dem Menschenkörper Fähigkeiten, die wir als Bewohner_innen dieses Menschenkörpers noch gar nicht fassen können.
Aktuelle politische und gesellschaftliche Strömungen zeigen einen Backlash: Die Sehnsucht nach christlich-konservativen Lebensmodellen und einen erstarkenden Hang zu Nationalismus und biologischem Essentialismus.

Lee Nomi trägt einen bunten Hut und rosa-blaues Kleid, Tränen verschmieren das Augenmakeup. Lee hält einen E-Bass in der Hand. Im Hintergrund Stadt und Himmel.

Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit

Melinda Cooper schreibt im Band Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit (2015): „Die Geschichte der gesetzlichen Reaktionen auf assistierte Reproduktionstechnologien ist überaus lehrreich, weil wir einerseits eine Entwicklung hin zur vollständigen Kontraktualisierung reproduktiver Verhältnisse erleben, zumindest in einigen Gesetzgebungen, andererseits aber auch eine gesteigerte Sorge um den Erhalt der Privilegien der Rechtsfamilie, insbesondere mit Bezug auf das sorgerechtliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.“

Die einzelnen Schritte der Reproduktion, also Verschmelzung von Eizelle und Spermazelle, Einpflanzung in den Uterus, Schwangerschaft und Geburt und dann die Kindererziehung, können minutiös voneinander getrennt werden. Jeder dieser Schritte, die zu Dienstleistungen werden (Eizellen- und Samenspende, Leihschwangerschaft, etc) erfordert vertragliche Regelungen zwischen Kund_innen und Anbieter_innen der jeweiligen Dienstleistung. Leihschwangerschaft ermöglicht es, meine Stammzellen zu einem neuen Menschen zu machen, ohne, dass ich eine Gebährmutter in meinem Körper benötige. Auswahlverfahren bei der In-Vitro-Fertilisation und Pränataldiagnostik ermöglichen es, diesen neuen Menschen nach nationalkapitalistischem Maßstab zu selektieren: Körper, die dem neoliberalen Markt möglichst umfassend bereitstehen, und dabei mit den biologisierten Merkmalen der Hegemonie versehen sind.

Weiter heißt es bei Cooper: „Dieser Prozess der Kontraktualisierung ist dem Markt für reproduktive Dienstleistungen inhärent und wird von dessen Kund_innen auch eingefordert. Jedoch sind die Konsument_innen dieser Dienstleistungen, vielleicht wenig überraschend, auch der Vorstellung verhaftet, dass das Sorgerecht über ein durch Leihmutterschaft geborenes Kind, so es einmal vertraglich geregelt wurde, nicht widerrufbar oder an eine andere Person übertragbar sein sollte, auch nicht an die Leihmutter oder Spenderin. Das eine Leihmutter beauftragende Paar verlangt also zwei sich gegenseitig ausschließende Dinge: einerseits die rechtliche Fragmentierung und Kontraktualisierung reproduktiver Dienstleistungen, andererseits die uneingeschränkte Durchsetzung eines nicht übertragbaren Sorgerechts.“

Der Vorgang der Familiengründung fordert eine widersprüchliche rechtliche Maßnahme: Familienrecht und Vertragsrecht bilden eine Schnittstelle, aus der die bürgerliche Kleinfamilie privilegiert hervorgeht.

Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (6.5.2018): „Der deutschen Mutter“ wirkt wie ein Energy-Drink. (…) Müller knöpft sich die gesellschaftlichen Erwartungen ans Muttersein vor, arrangiert seine Figuren jenseits von Konventions- und Geschlechtergrenzen, lässt sie Haken schlagen bis zum Showdown mit Erdbeben (…) und lässt das Spiel mit dem hübschen Satz enden: „Wir hätten das Paradies haben können, aber wir gaben uns mit Alnatura zufrieden:“

Eine Pfütze am Boden spiegelt Lee, außerdem sehen wir schwarze Schuhe, ein Plastikspielzeug im Wasser, Steine und Schlamm.

Livename ab dem 10.2. in Herxheim bei Landau

Ab dem 10.2. könnt ihr mein Stück Livename am Chawwerusch Theater in Herxheim bei Landau sehen. Ich habe diesen trans*geniale Sci-Fi-Text letzten Herbst im Auftrag der Chawweruschler*innen geschrieben, inszeniert hat es Susanne Schmelcher und es wird sowohl im Abendspielplan des Theaters als auch an Schulen gezeigt werden (ab 14). Weitere Vorstellungen sind 11., 12., 24., 25., 26. Februar.

Kommt vorbei und sagt es weiter, insbesondere euren Pädagogik-Bubbles, die das Livename-Team zu sich an die Schulen einladen sollen!!! Es lohnt sich :)))))))

Unten seht ihr ein Foto von einem Kostümfest im Magnus Hirschfeld Institut 1919 (!!), das mich nicht mehr loslässt, beim Schreiben an Livename war es mein Bildschirm-Hintergrund. Mir ist leider nicht bekannt, wer es aufgenommen hat.
xxx

Den Moodring, auf den ich angesprochen werde

habe ich gleich am Anfang bekommen, beim Einlass. Es war ein soft Einlass, oder sanft, oder smooth, oder so ähnlich, das heißt, er ging 45min lang. Die Performerin Nadja Sühnel, die Werkstatt: Sad Girl Theater im Leipziger LOFFT zeigt, ist schon die ganze Zeit da. Ich bin als erster drinnen, werde ausführlich begrüßt, kriege den Moodring und darf mir einen Platz aussuchen. Ich setze mich auf einen Sitzsack und bin ganz glücklich darüber, dass es das gibt. Meine Mood ist, dass ich es mir gemütlich machen will. Wir reden über die Farbe, die der Moodring auf meinem Finger annimmt (blau) und ich erfahre, dass ich auch die Augen zumachen und einfach zuhören darf, oder generell das machen soll, was sich gut anfühlt.

Nach und nach kommen die anderen Zuschauer*innen ganz sanft herein, es wird eng auf dem Sitzsack, das war mir nicht klar, dass es eng werden, sich so anfühlen würde! Viele sind zu zweit oder zu dritt, ich bin allein, meine Mood ist jetzt langsam auch lonely. Der Softeinlass dauert so lange, dass man Zeit hat, dabei wirklich in sich zu gehen. Die Performance beginnt endlich. Es gibt lange, stille Szenen mit traurigen Smileys am Fenster, Musik, Filmsequenzen zum Themenfeld Sad Girl, ich erkenne zum Beispiel Sad Girls of the Mountains von Candy Flip und Theo Meow.

Eine Woche später bin ich beim FlashOver, einem Netzwerktreffen für die freie Szene in Leipzig, dort spricht miche eine Person an: Warst du neulich im LOFFT?
Der Ring ist mir den ganzen Tag vom Finger gerutscht und ich musste ihn ständig suchen, dadurch ist er der Person aufgefallen. Wir reden über die Performance. Ich kann nicht soviel dazu sagen, weil ich in der Pause gegangen bin. Es ist mir zuviel geworden, die Enge, die Langsamkeit, die nicht-Handlung, die Einsamkeit, von der es keine Ablenkung gab.

Ist es unsolidarisch, eine feministische Performance in der Pause zu verlassen? Das Publikum wurde von der Performerin eingeladen, sich so zu verhalten, wie es sich gut fühlt; im Zweifelsfall auch, zu gehen. Ich wollte mir das Gehen erst nicht erlauben. Ich dachte, ich müsste durchhalten und eine weibliche Künstlerin durch meine Präsenz unterstützen, ihr meine Energy geben als Zuschauer. Auch wenn offiziell gesagt wird, das Publikum darf jederzeit gehen, weiß die Person ja nicht, wieso ich gehe. Vielleicht denkt sie, es hat mir nicht gefallen usw. Will ich ihr, indem ich meinen Körper dem Raum entziehe, diese negative Botschaft senden?


Es war challenging, mich selbst als ebenbürtig zu sehen: Auch meine Gefühle zählen! Ich kann mich so verhalten, dass es mir gut tut! Wenn ich keine Lust mehr habe, kann ich eine künstlerische Darbietung verlassen! Mein Körper weiß, was ich brauche! Ich bin hier keiner Person was schuldig! Zuhause wartet ein gutes Buch auf mich! Usw

Ein wichtiges Erlebnis also.

Es gibt im Leipziger Kolonialzoo gleich beim Eingang

ein Zelt von BMW, darunter steht ein Elektroauto und zwei Personen in Polyestershirts von BMW, die jung und gar nicht wie klassische Autoverkäufer*innen aussehen. Auf den Eintrittspreis von 21 Euro wird ein Euro für den Artenschutz aufgeschlagen, außer man sagt dazu, dass man das nicht bezahlen möchte.
Ich setze mich dann zuallererst ins Café, weil ich noch keinen Kaffee getrunken habe und mich ganz belämmert fühle. Auf der Speisekarte wird ein Afrika-Frühstück angeboten. Ich bestelle eine heiße Schokolade mit Hafermilch und einem Espresso. Der Platz vor dem Café ist belebt. Auf einem Podest liegt ein Kürbis so groß wie meine Badewanne, er ist eingewickelt in Klarsichtfolie. Kinder setzen sich neben ihn.
Um einen Dinosaurier ist ein Zaun gebaut, der mit Girlanden und mexikanischen Día de los muertos-Totenköpfen geschmückt ist. Ein Exfreund hatte mir vor vielen Jahren mal ein Armband von seiner Indienreise mitgebracht (oder vielleicht war das Armband aus Tibet? Er war so viel gereist, dass ich den Überblick verloren habe), das bestand aus hölzernen Totenköpfen. Er wollte mich damit ermuntern, dass ich meinen Körper weniger ernst nehmen sollte. (Ich machte mit meinem Körper das, was man in einer patriarchalen Gesellschaft damit macht, wenn man die ganzen Gefühle nach innen kanalisieren möchte.)
An einige Bäume sind Kürbisse gelehnt, sie haben handelsübliche Größen und liegen auf Strohballen. Ich empöre mich weiter über den Euro zum Arterhalt und denke: Ihr wollt einen Euro extra, nachdem das ganze Konzept Zoo Teil von und Symbol für koloniale Herrschaft und Zerstörung ist, ohne die das Artensterben gar kein Thema wäre? As if 😦


Ich bin für eine Recherche in den Zoo gegangen. Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema Walross. Es gibt in Leipzig leider keine Walrösser. Wobei es für die Walrösser sicherlich besser so ist.

Im Aquarium wird der dreijährige Fritz ausgerufen. Die pazifische Tiefseequalle vegetiert zu zwanzigst auf 150x150x30cm vor sich hin, ihr Aquarium besteht aus Beton und Glas. Kein Gräslein, kein Geröllstückchen, nichts. Was hat sie nur getan, um dieses Leben zu verdienen? Ich denke, die Antwort lautet: Sie kann so leben, also muss sie es. Das ist ja das Konzept von Gefängnissen, auch der Mensch kann mit sehr wenig Deko und Stimulation dahin vegetieren.
Der dreijährige Samson wird ausgerufen, bevor ich weiß, ob Fritz schon gefunden worden ist. Sein Opa wartet auf ihn bei der Bärenburg. Der vierjährige Pascal wiederum wartet auf seine Angehörigen am Bärencafé. Ich gehe weg.


Bei den Elefanten beginnen meine Kopfschmerzen. Es sind zu viele unerfreuliche Energien in der Luft. Die Tiere spüren sie jeden Tag. Das Ohr eines Elefanten sieht schon ganz wund und schlabberig aus. Er trottet aus meinem Sichtfeld und ich stelle mir vor, wie er seinen Pfleger mit dem Rüssel erschlägt. Ich höre an einer Tafel einen Audiobeitrag über das Leben der Elefanten. Die Anführerin einer jeden Herde ist eine Elefantenkuh, auch im Zoo. Wenn aber ein Pfleger das Gehege betritt, ist automatisch er der Anführer. Ein Kind drückt auf einen anderen Audioknopf auf der Tafel, mein Beitrag bricht ab, das Kind rennt weiter.

Die Seerobben sollen bei der Fütterung Kunststücke machen. Die Pfleger* innen haben Sonnenbrand. Nach der Fütterung socializen sie noch ganz lange mit den Robben, die Robben wollen sich einfach nicht verabschieden. Sie hoffen, dass es noch mehr Fische für sie gibt. In ihrem Becken existieren außer ihnen selbst keine anderen Lebewesen, daher können sie sich nicht selbst welche fangen. Ich bin erschöpft. Im Gondwanaland, das ist ein riesiges Gewächshaus mit 28 Grad, wird mein Kreislauf schwach. Ich trotte zusammen mit den anderen Besucher* innen durch das Gewächshaus. Hier gibt es viel zu viel zu sehen! Ich höre, wie ein Mann seinen Schwager fragt, was er davon hält, dass einige Anteile am Hamburger Hafen von chinesischen Firmen erworben worden sind. Nach all den Jahren erkenne ich die Stimme ganz genau: Es ist die Stimme eines Verschwörungsgläubigen, der immer neue, tagesaktuelle Gesprächseinstiege findet, um seine Tiraden rausballern zu können.
Der Schwager sagt, dazu hat er keine Meinung. Das ist die Antwort derer, die nicht an Verschwörungsmythen glauben und einfach nur einen konfliktarmen Nachmittag im Zoo verbringen wollen.


Ich esse mein mitgebrachtes Essen vor einer Statue von Jason. Jason ringt mit bloßen Händen zwei Bullen nieder. Ein Kind zeigt darauf und sagt, der hat sich am Kopf verletzt! Ich denke, damit ist der goldene Helm gemeint, den Jason auf dem Kopf trägt. Neben mir sitzt eine Person und raucht eine Kippe, was ich gut verstehen kann. Eine Statue von Medea gibt es nicht, aber wie sollte man sie auch darstellen, wütend und mit ihren toten Kindern im Arm? Vielleicht ist sie im Zoo als Ganzem verkörpert – eine monströse Frau ohne Heimat. Die man einsperren, anstarren und zu festen Zeiten füttern muss.

„der deutschen mutter“ am 18. September

Rotte Nomi und ich zeigen einen Teaser unserer Performance „der deutschen mutter“ bei der queeren Stage der Gedenk.feier!

Mit der Gedenk.Feier für die Opfer der Mordaktion gegen die Homosexuellen im KZ-Außenlager Klinkerwerk soll an die Geschehnisse erinnert und der Toten gedacht werden. Aber auch das queere Leben soll gefeiert werden.
Am Sonntag, 18. September 2022, 14.00 – 17.30 Uhr, am Gedenkort Klinkerwerk, An der Lehnitzschleuse, 16515 Oranienburg

Mit uns auftreten außerdem: Jona Gold, die Travestiekünstlerin Die schöne Müllerin und der Querchorallen-Chor, moderiert von Camelia Light.

Seek Bromance: Review in der Missy

Im aktuellen Missy Magazine findet ihr meinen Kulturtext über den Film „Seek Bromance“ von Samira Elagoz.
Ursprünglich hatte ich mich sehr gefreut, aus trans männlicher Perspektive über einen Film, der zwei trans männliche Künstler*innen zeigt, schreiben zu dürfen. Der Film hat mich enttäuscht und da er derzeit nicht weitläufig in Kinos oder auf Streamingplattformen zu sehen ist, haben leider nur wenige Menschen die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen.
Ich möchte ein Statement von Kollaborationspartner*in Cade Moga abbilden, deren*dessen Perspektive auf den Schaffensprozess ich bedenkenswert finde. Auf Mogas Homepage steht folgendes über die Zusammenarbeit mit Elagoz: „During the 2020 pandemic Cade signed a contract with Finnish filmmaker Samira Elagoz, who collected footage of/with Cade for 3 months in a reality-TV approach. The actions performed on camera caused trauma to Cade who opted out of co-production. Samira Elagoz & Co went on to produce a 4-hour long docu-fiction described as a ‘real trans love story’ in press. […] Cade has been denied access to a copy of the work.“

Aus Platzgründen haben es folgende zwei Absätze nicht in meinen Artikel geschafft, die meine Gedanken über „Seek Bromance“ einbetten:

In der 2021 erschienenen Anthologie „Transgender Marxism“ schreibt Noah Zazanis über verschiedene Theorien, nach denen Gender gesellschaftlich und im einzelnen Subjekt reproduziert wird. Bekannt und verworfen ist die Theorie der Sozialisierung: Wir werden als Junge oder Mädchen sozialisiert, erhalten dadurch alle Informationen über unsere binäre, eindimensionale Rolle und können sie, egal wie sehr wir dagegen ankämpfen, kaum ablegen. Dieser Theorie mangelt es aber an Fundament, will mensch über das gegenderte Individuum hinausdenken. Ihr stellt Zazanis die sozialkognitive Theorie gegenüber, nach der wir den äußeren Einflüssen in drei Modi ausgesetzt sind. Wir sehen Vorbilder, machen handlungsmäßige Erfahrungen und erhalten direkte Unterweisung. Diese drei Modi formen die Geschlechter aller Menschen, wobei Zazanis herausarbeitet, inwiefern wir eine Agency in dieser Formung besitzen, beispielsweise, indem wir uns mit bestimmten Menschen umgeben. Nicht selten suchen Personen, lange vor dem Beginn einer wie auch immer gearteten Transition, bereits die Gesellschaft von trans oder queeren Personen, deren Medien und Räume. Die Theorie gilt übrigens für die Ausprägung von trans und cis Geschlechtern gleichermaßen.
Der Aufsatz von Zazanis ist, wie der gesamte Band, bedeutend, da er aufzeigt, wie wichtig Community und Präsenz im (semi-)öffentlichen Raum für die transgender soziale Reproduktion ist. Nur wenn es uns gibt, kann es auch mehr von uns geben. Nur wenn wir Räume unser eigen nennen, können andere diese Räume aufsuchen und ebenfalls trans sein. Nur wenn wir Vorbilder haben, wissen wir, dass es uns überhaupt geben kann. Der antisemitische Verschwörungsmythos der einer vermeintlichen ‚Transgender- Agenda‘, die junge Menschen unnatürlich queere, enthält also ein Körnchen Wahrheit, folgt mensch der sozalkognitiven Theorie: Es gibt mehr und mehr von uns, weil es mehr und mehr von uns gibt. Und ich danke allen Gött*innen, dass das so ist!
Antisemitisch ist dieser Mythos, wie jede Verschwörungserzählung, weil dahinter das Bild einer jüdischen Elite, die angeblich die weiße, heteronormative Welt kontrolliert, reproduziert wird.

Parallel zu Zazanis Erkenntnissen über die Reproduktion von transgender Menschen als gesellschaftlichem Phänomen arbeitet Jeannine Tang in „Trap Door“, einem Sammelband von 2016, die Historizitäten heraus, in die sich transgender Künstler*innen einfügen: „Tatsächlich ist die Prominenz von transgender Künstler*innen in jüngerer Zeit aus Jahrzehnten von transgender Community und infrastruktureller Unterstützung hervorgegangen, an der meist transgender Künstler*innen selbst beteiligt waren, deren Arbeit zutiefst persönlich, sozial, situiert und räumlichspatzial ist. Diese Unterstützung hat ein Gegengewicht geschaffen gegen die fortbestehende infrastrukturelle und institutionelle Regulierung von Gender, welche die Funktionen künstlerischer Identität reproduziert und dabei die soziale Beweglichkeit von Menschen, die nicht transgender oder gender nonconforming sind, bevorzugt.“