Am 31. März um 20:00

zeigen Lee Nomi und ich die Performance der deutschen mutter in Leipzig. Tickets: ddmperformance@riseup.net Wie es in dieser Stadt üblich ist, können wir den Ort erst auf Anfrage nennen. Tipp: Es ist das TV-Studio auf der Eisenbahnstraße…

  • Violetter Rauch neben einer Pfütze

Hintergrund

Der deutschen Mutter ist der Wortlaut der Inschrift auf dem Mutterkreuz, einer Auszeichnung, die im Nationalsozialismus an Mütter, die bestimmte, der NS-Ideologie folgende Voraussetzungen erfüllten, vergeben wurde. Der deutschen mutter ist der Titel dieses Theaterstücks, das Frederik Müller 2016 geschrieben hat. Im Text verhandelt er die Brüche und Kontinuitäten von Konzepten wie Reproduktion, Magie, Kapital und Genetik zwischen damals und morgen. Die Inszenierung dieses Absurden Theaters setzt auf Camp-Ästhetik, D.I.Y. Charme und die Fallhöhen von zügig rhythmisierter Komödie und aufrichtiger Verzweiflung und Dringlichkeit der Figuren.

Die Handlung ist in eine nahe Zukunft verlegt, in der Leihschwangerschaften in Deutschland legal sind.Die arbeitslose Ewa ist in ihre Jobcenter-Sachbearbeiterin Frau Erfurt verliebt. Frau Erfurt sieht auf sie herab, weil sie kein Geld verdient. Um ihre Liebe zu gewinnen, stimmt Ewa einer gut bezahlten Leihschwangerschaft für das kinderlose Paar Björn und Karsten zu. Ewas Ex- Geliebte und Freundin Marie fühlt sich von ihr verraten, weil sie selbst keine Kinder bekommen oder zeugen kann; es kommt zum Streit. Marie prophezeit, dass Frau Erfurt nicht über die Unterschiede ihrer sozialen Positionen hinwegsehen wird.
Während der Hochzeitsfeier von Karsten und Björn, der auch Frau Erfurt beiwohnt, begreift Ewa, dass diese sie niemals lieben wird und erinnert sich an ihre Freundin Marie. Deshalb entschließt sie sich zu einer Abtreibung und stört die Hochzeitsfeier. Der religiöse Karsten entführt sie, um sie zur Geburt zu zwingen, während Björn eine Petition startet, weil er auf dem Rechtsweg zu seinem Kind kommen will. Marie bewegt die Zauberin Demeter dazu, ihr bei der Befreiung Ewas zu helfen und Demeter ruft ein Erdbeben hervor. Das Erdbeben schüttelt Ewa vom Kirchturm, wo Karsten sie gefangen hielt, und sie kann mit Hilfe ihrer Freundinnen den Schwangerschaftsabbruch durchführen.
Die Medizin schreitet voran, die Gesellschaft dreht sich im Kreis. Von Profitmaximen befeuerte Forschung ermöglicht dem Menschenkörper Fähigkeiten, die wir als Bewohner_innen dieses Menschenkörpers noch gar nicht fassen können.
Aktuelle politische und gesellschaftliche Strömungen zeigen einen Backlash: Die Sehnsucht nach christlich-konservativen Lebensmodellen und einen erstarkenden Hang zu Nationalismus und biologischem Essentialismus.

Lee Nomi trägt einen bunten Hut und rosa-blaues Kleid, Tränen verschmieren das Augenmakeup. Lee hält einen E-Bass in der Hand. Im Hintergrund Stadt und Himmel.

Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit

Melinda Cooper schreibt im Band Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit (2015): „Die Geschichte der gesetzlichen Reaktionen auf assistierte Reproduktionstechnologien ist überaus lehrreich, weil wir einerseits eine Entwicklung hin zur vollständigen Kontraktualisierung reproduktiver Verhältnisse erleben, zumindest in einigen Gesetzgebungen, andererseits aber auch eine gesteigerte Sorge um den Erhalt der Privilegien der Rechtsfamilie, insbesondere mit Bezug auf das sorgerechtliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.“

Die einzelnen Schritte der Reproduktion, also Verschmelzung von Eizelle und Spermazelle, Einpflanzung in den Uterus, Schwangerschaft und Geburt und dann die Kindererziehung, können minutiös voneinander getrennt werden. Jeder dieser Schritte, die zu Dienstleistungen werden (Eizellen- und Samenspende, Leihschwangerschaft, etc) erfordert vertragliche Regelungen zwischen Kund_innen und Anbieter_innen der jeweiligen Dienstleistung. Leihschwangerschaft ermöglicht es, meine Stammzellen zu einem neuen Menschen zu machen, ohne, dass ich eine Gebährmutter in meinem Körper benötige. Auswahlverfahren bei der In-Vitro-Fertilisation und Pränataldiagnostik ermöglichen es, diesen neuen Menschen nach nationalkapitalistischem Maßstab zu selektieren: Körper, die dem neoliberalen Markt möglichst umfassend bereitstehen, und dabei mit den biologisierten Merkmalen der Hegemonie versehen sind.

Weiter heißt es bei Cooper: „Dieser Prozess der Kontraktualisierung ist dem Markt für reproduktive Dienstleistungen inhärent und wird von dessen Kund_innen auch eingefordert. Jedoch sind die Konsument_innen dieser Dienstleistungen, vielleicht wenig überraschend, auch der Vorstellung verhaftet, dass das Sorgerecht über ein durch Leihmutterschaft geborenes Kind, so es einmal vertraglich geregelt wurde, nicht widerrufbar oder an eine andere Person übertragbar sein sollte, auch nicht an die Leihmutter oder Spenderin. Das eine Leihmutter beauftragende Paar verlangt also zwei sich gegenseitig ausschließende Dinge: einerseits die rechtliche Fragmentierung und Kontraktualisierung reproduktiver Dienstleistungen, andererseits die uneingeschränkte Durchsetzung eines nicht übertragbaren Sorgerechts.“

Der Vorgang der Familiengründung fordert eine widersprüchliche rechtliche Maßnahme: Familienrecht und Vertragsrecht bilden eine Schnittstelle, aus der die bürgerliche Kleinfamilie privilegiert hervorgeht.

Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (6.5.2018): „Der deutschen Mutter“ wirkt wie ein Energy-Drink. (…) Müller knöpft sich die gesellschaftlichen Erwartungen ans Muttersein vor, arrangiert seine Figuren jenseits von Konventions- und Geschlechtergrenzen, lässt sie Haken schlagen bis zum Showdown mit Erdbeben (…) und lässt das Spiel mit dem hübschen Satz enden: „Wir hätten das Paradies haben können, aber wir gaben uns mit Alnatura zufrieden:“

Eine Pfütze am Boden spiegelt Lee, außerdem sehen wir schwarze Schuhe, ein Plastikspielzeug im Wasser, Steine und Schlamm.

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